Ich bin im Winter 2011 für eine Woche zu Besuch bei meinem Patenkind Lara im Allgäu, als per Email ein Angebot für eine Notarztvertretung dort ganz in der Nähe reinflattert. „Spannend“ denke ich, „mal in den verschneiten Bergen Notarzt, warum nicht?!“.
Ein Telefonat und 24 Stunden später sitze ich in etwas zu grossen signalroten Leihklamotten in der süddeutschen Rettungswache. Toni hatte mir gerade mit ganzem Stolz „sein“ Notarztauto gezeigt, als es piept. „Chirurgisch, Talstation“.
Zehn Minuten später stehe ich auf dem Parkplatz der Bergbahn. Mir ist kotzschlecht. Toni hat dem Flachland-Notarzt mal gezeigt wie Serpentinenfahren mit Blaulicht geht…
Wir schnappen unsere Ausrüstung und betreten das Gondelhaus. Toni geht voraus. Vorbei an der Schlange wartender Skitouristen, besteigen wir die grosse, gelbe Gondel, die auf uns gewartet hat.
Nach ca. 10 Minuten erreichen wir die Mittelstation. Zwei Mitarbeiter der Bergbahn machen uns den Weg zwischen den Schneesportlern hindurch zur 4er-Gondelbahn frei. Als wir die Mittelstation gerade in der kleinen Gondel verlassen haben wird es total neblig – wohl der Grund dafür, warum kein Hubschrauber alarmiert wurde sondern wir.
Am Ziel oben angekommen stehen die Bergretter bereits mit zwei Schneemobilen in den Startlöchern. Wir kriegen eine Skibrille und einen Helm verpasst und los gehts mit 75 PS durchs Skigebiet. Die Schneekatze nimmt ihren Weg mal auf der Piste, mal abseits davon und ich frage mich, wie sich die Jungs hier im Nebel orientieren. Eine einzige weisse Suppe!
Als wir auf einen Rettungsschlitten zufahren, wird mein Fahrer erst langsamer, hält dann ganz an und macht den Motor aus. „Da müsst ihr runter “ sagt ein Bergretter, der hier schon auf uns wartet und deutet auf den Rand der Skipiste. Ich steige vom Schneemobil und werfe einen Blick über die Pistenkante.
Drei Meter unter mir liegt Sepp mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Rücken im Schnee. Über sich eine goldene Wärmeschutzfolie, neben ihm ein Pistensanitäter sowie ein demolierter Holzschlitten.
Unten beim Verletzten angekommen frage ich was passiert ist. Der Pistenretter erzählt mir, dass Sepp mit dem Schlitten unterwegs war. Im Nebel hat er dann diese Kurve zu spät gesehen, ist geradeaus gefahren und samt Schlitten hier abgestürzt.
„Was tut Ihnen weh?“
„Mein Hintern“
„Sonst noch was? Der Rücken?“
„Nein“
„Können Sie alles bewegen? Spüren Sie Ihre Füsse?“ Sepp nickt. Er zittert am ganzen Körper. Vor Kälte? Vor Schmerzen? Woher kommt das Blut?
„Sepp sass beim Absturz noch auf dem Schlitten. Bei der Landung zerbrach das alte Stück und jetzt steckt wohl ein Stück Schlitten in seinem Allerwertesten“ liefert der Bergretter seine Vermutung. „Hab ihm 30 Tropfen Novalgin gegeben. Hat nix genutzt. Wir können ihn kaum anfassen, so weh tut jede Bewegung. Deshalb haben wir euch gerufen!“.
Ich bitte Toni einen Tropf vorzubereiten, derweil ich schon mal den Blutdruck messe. Gar nicht so einfach mit klammen Fingern. Dann gleich den Tropf legen. Zum Glück treffe ich die Ader trotz der widrigen Umstände beim ersten Versuch. „Haben Sie Allergien? Schwere Erkrankungen?“ Als er das vereint bitte ich Toni Ketamin und Midazolam fertig zu machen. Meine Idee ist, dass wir Sepp erstmal mit Schmerz- und Schlafmittel „abschiessen“ . Wenn er dann schläft soll er flott auf den Rettungsschlitten gelegt und mit allen verfügbaren Helfern den Abhang hochgezogen werden. Die Bergretter segnen den Plan ab.
Wie besprochen, so passiert es auch. Sepp ist ein kräftiger Kerl, fünf Milligramm Midazolam lassen ihn einschlafen. Wir drehen ihn vorsichtig auf die Seite. Sepp stört das jetzt nicht mehr. Er macht dank 50 Milligramm Ketamin keinen Mucks, der Schmerz ist ihm genommen. Ganz auf die Seite gedreht sehen wir das Problem: ein riesen Holzstück hat sich durch Sepps Hose in seinen Hintern gebohrt. Da wir nicht wissen wo das Holz steckt und was alles durchbohrt wurde lassen wir es dort, wo es ist. Bloss nicht rausziehen. Mit insgesamt sechs Helfern können wie ihn bäuchlings auf die Schlittentrage legen und den Abhang hochziehen.
Die Retter der Bergwacht transportieren ihn auf der Trage zur Gondelstation, Toni und ich folgen mit dem Schneemobil. Nach 30 Minuten haben wir Sepp im Rettungswagen, der uns an der Talstation erwartet.
Mit Blaulicht geht es ihn die nächste Klinik.

Aufnahme aus der Klinik.
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