2001. Es piept am frühen Abend. Die knappe Auskunft auf dem Alarmmelder: „Verbrennung in psychiatrischer Klinik“.

Nach 10 Minuten mit Blaulicht und Martinshorn durch den Berufsverkehr sind wir am Einsatzort, das Landeskrankenhaus, eine grosse psychiatrische Klinik. Die Pflegekräfte der geschlossenen Erwachsenenstation erwarten uns bereits am Eingang.

Als wir durch scheinbar endlose Stationsflure laufen, bekomme ich erste Informationen. Es geht um Doris. 20 Jahre alt. Borderline-Störung. Ich bin irritiert. Borderline – das sind doch diese armen Mädchen, die sich selbst mit allem Möglichen schneiden, um sich durch diesen Schmerz wieder selbst spüren zu können. Warum also „Verbrennung in psychiatrischer Klinik“? Sicher ein Übermittlungsfehler.

Wir erreichen Doris` Patientenzimmer. Ein zarte, junge Frau sitzt mit verschränkten Armen auf ihrem Bett und starrt teilnahmslos ins Leere. Hat uns offenbar gar nicht bemerkt, ist mit ihren Gedanken sonstwo. Eine Krankenschwester sitzt vor Doris‘ Bett, eine Sonderwache.

Ich sehe kein Blut auf dem Boden, kein Blut auf dem weissen Bettlaken. Stattdessen riecht es nach Grill und nach verbranntem Fleisch. Die Sitzwache steht auf, greift nach Doris‘ linkem Arm und  zeigt mir die linke Hand. OH GOTT! Der komplette Handrücken ist tief verbrannt, dunkelgrau, blasig. In ihrer Hilflosigkeit haben die Pflegekräfte irgendeine Creme draufgeschmiert als sie auf uns warteten.

„Wie ist das passiert?“ frage ich. Die Antwort schockiert: das habe Doris selbst gemacht. Sie sei doch Borderline krank. Anstatt jedoch mit Messer oder Rasierklinge zu ritzen würde sie sich mit einem Feuerzeug Verbrennungen zufügen. WAS? Ich kann nicht mal für einen kurzen Augenblick einen abgebrannten Streichholz festhalten. Wie lange muss sie das Feuerzeug an ihren Handrücken gehalten haben, um eine derart tiefe Verbrennung zu produzieren? Ich bekomme eine Gänsehaut.

Wir machen dann unsere Arbeit: Tropf legen und Kreislaufwerte bestimmen, Überwachungsmonitor. Schmerzmittel möchte sie nicht. Nur einen Verband.

Wir bringen sie in die Klinik, in der ich als Unfallchirurg arbeite. Noch am selben Abend werden ihr die verbrannten Areale im Operationssaal in Narkose entfernt. Die Verbrennungen sind so tief, dass sie die Strecksehnen erreichen.

Es folgen in den nächsten vier Wochen sieben weitere Operationen, bei denen jeweils abgestorbenes Gewebe entfernt wird. Einen Grossteil dieser Operationen habe ich selbst gemacht. So auch die letzte OP, bei der eine Hautverpflanzung gemacht wurde, um den grossen Hautdefekt am Handrücken zu verschliessen. Das war nicht so einfach, denn es gab kaum noch eine Stelle an Doris‘ Körper mit „normaler“ Haut. Nach Jahren der Selbstverbrennungen war ihre Haut entweder durch frühere Verbrennungen oder durch die Entnahme von Spenderhaut nahezu überall verändert und ungeeignet. Irgendwie gelang es aber dennoch, so dass wir nach ca. sechs Wochen die Behandlung der linken Hand glücklich abschliessen konnten.

Genau einen Tag später klingelt am frühen Nachmittag mein Klinikhandy. Ich möge mal bitte in die Ambulanz kommen. Mich haut es fast weg: in Kabine 3 sitzt Doris. Diesmal ist es ihre rechte Hand.

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